Das Fernsehen ist auch nicht besser  

Verkürzt gesagt: Die Privaten haben es versaut.
Nachdem das Fernsehen seinen Kinderschuhen entwachsen war, gab es in Deutschland überwiegend drei Programme. Das Erste, das Zweite und die Dritten. Das Medium pubertierte in unterschiedlichsten Formaten - Nachrichten, Dokumentationen, Spielfilme und Unterhaltung - und wurde erwachsen. Dann machte es einen Fehler. Es erlaubte das Privatfernsehen. Zunächst noch ob der neuen Vielfalt bejubelt, wurde das Medium zum Ärgernis. Werbepausen unterbrechen die Sendungen und die Zuschauer erleben eine Renaissance des Jahrmarkts-Voyeurismus aus dem 19. Jahrhundert: “Ja, ich habe meine Frau geschlagen, was ist so schlecht daran?” “Ja ich habe auch Pickel im Schambereich!” Also ich kriege Pickel wenn ich mir das anschauen muss - deswegen habe ich meinen Fernseher auch abgeschafft.


Mattscheibe
Trotzdem trifft man immer wieder auf die ein- oder andere Mattscheibe und regt sich jedes Mal von neuem auf. Das enervierende daran ist die Tatsache, dass es nicht alleine reicht, mit einem bewundernswerten Maß an unterbelichteter Intellektualität Schwachsinnsthemen zu kreieren. Nein, die Sendungen müssen auch noch so aufbereitet werden, dass sie möglichst groß daherkommen, so wie die einschlägige Regenbogenpresse. Aus einer Mücke einen Elefanten machen. Alleine die Titel zeugen vom Jahrmarkt-Charakter der Sendungen: “Blitz”, “Exclusiv” (wieso überhaupt wird das mit “c” geschrieben?), “Die Reporter”, “Die Redaktion” und was weiß ich. Jetzt fehlen eigentlich nur noch Talkshows und “Reality”-Dokumentationen, die sich Woche für Woche mit neuen Kandidaten dem gleichen Thema widmen. Mir schweben “Talk”-Runden wie “Ist die Länge wirklich kein Problem?”, “Die Vorhaut” oder “Birnenbrüste versus Apfelbäckchen” vor. Das Wort Klatschspalte kriegt gleich eine ganz neue Bedeutung.


Synapsen Ade
Man muss ja nur an einem beliebigen Tag die Zeitung aufschlagen, um zahlreiche Synapsen-Verbindungen einzubüßen: “Zwei bei Kallwas. Sex in der Öffentlichkeit.” Ja wem es Spaß macht, aber bitte betrachtet das Fernsehen nicht als Öffentlichkeit. Und “Arabella. Wie viele Frauen braucht ein echter Kerl?”. Frau Kiesbauer, können Sie diese Frage nicht einfach in einem Interview beantworten? Oder: “Fliege. Ich wollte verhungern”. Herr Pastor, der Wille alleine reicht nicht, wenn das Fleisch schwach ist, aber bitte halten Sie durch. Scheinbar mögen die Zuschauer nicht nur die völlig tumben Themen, sie verlangen auch noch nach marktschreierischer Aufbereitung. Nur so kann man sich die an B- und C-Movies angelehnte Bildauswahl erklären. Jedes Element eines “Features” oder eines “Doku”-Beitrags wird zum “Entertainment”-Ereignis stilisiert. Man muss jedenfalls davon ausgehen, dass die Zuschauer das mögen, sonst würden sich solche Formate auf Dauer nicht halten, schließlich zählt immer die Quote - nicht nur in der Politik. Immer wieder erinnert mich das ganze Szenario an den leider abgedroschenen, aber wunderbar plakativen Spruch: “Leute fresst Scheiße, Millionen Fliegen können nicht irren!”. Vor allem dann, wenn ich feststelle, dass die Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten munter nachziehen.


Hollywood
Zwecks Weiterbildung habe ich mich bei einem Bekannten mit Fernseher angemeldet, um mir den ersten Teil des ZDF-Vierteilers “Sturm über Europa” anzusehen. Gevierteilt gehören jedenfalls die Macher der Sendung. Meine Empörung ist umso größer, als dass ich wegen dieses banalen Beitrags auf die Lektüre eines Buches verzichtet habe. Das Hamburger Abendblatt widmete der Ankündigung des Beitrags in der Wochenendausgabe vom 2./3. März 2002 eine Drittel Seite: 30 Forscher haben mit ihren Erkenntnissen zur Sendung beigetragen, in 15 Ländern ist drei Jahre lang recherchiert worden. Schade, dass sie nicht 30 Jahre recherchiert haben, dann hätte ich mir das nicht anzusehen brauchen. Wie schreibt das Abendblatt: “Gut zu wissen, saubere Forscher Arbeit.” Aber leider keine saubere Film-Arbeit, stattdessen wird “die digitale Grafikanimation nach dem Step Frame Printing-Verfahren” gelobt. Unter dieser verzweifelten Effekthascherei leidet der ganze Beitrag. Dass diese Geschichtsstunde drei Millionen Mark (ich wiederhole: drei Millionen Mark, obwohl das Abendblatt sich vielleicht mal auf den Euro einlassen sollte) gekostet hat, muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Das Abendblatt setzt fort: “Hollywood erfahrene ‘Kampf‘-Choreographen holten das Letzte aus den Komparsen raus.” Die Filmemacher scheinen dabei den Beutezügen der Völkerwanderung zum Opfer gefallen zu sein. Aus denen war offensichtlich noch nicht einmal mehr das Letzte herauszuholen. Schade, prinzipiell ist eine zusätzliche Geschichtsstunde ja etwas Begrüßenswertes. Wenn allerdings beim Versuch der Illustration völlig ungeübt das große Kino nachgeahmt werden soll, muss das zwangsläufig in die Hose gehen. Mein Vorschlag: Die Kampf-Choreographen zu Hause lassen und eine bodenständige Dokumentation produzieren.


Bitte aufhören
Liebe Öffentlich-Rechtliche, hört bitte auf, den Privaten nachzulaufen, das erträgt kein Mensch. Prostitution gegenüber der Werbeindustrie mag ja noch angehen, aber bitte nicht gegenüber dem Zuschauer. Die verzweifelten Reste an Qualität klammern sich mühsam an die Nischen um Mitternacht oder auf arte und in 3sat. Man fragt sich, wie lange es diese Biotope noch gibt? Aufgrund von zu hoher Schadstoffbelastung in den Nachbarkanälen wegen Gesundheitsgefährdung geschlossen. Bald fehlt der Vergleich völlig und dann verlernt der entmündigte Zuschauer, dass auf dem einäugigen Flimmergott auch mediumsadäquate Beiträge möglich sind. Geschichte, Dokumentation, Didaktik, es kann alles spannend und lehrreich sein, ich bin auch mit angemessener Visualisierung einverstanden, aber definitiv nicht mit “Reality”-Illustrationen. Liebe Fernsehmacher - ja auch die privaten - denkt doch bitte mal über Euren Beruf nach. Wie wäre es mit profundem Journalismus, bei dem die Beiträge aufgrund ihres Inhalts interessieren und nicht mangels qualitativer Masse zu einem “TV-Ereignis” aufgeblasen werden müssen. Irgendwann platzt nämlich auch diese Seifenblase.


Digitalex